Gemeindebrief (barrierefrei)

I/2023: Geht aber hin und lernt… (Matt. 9,13)

Inhalt

Geht aber hin und lernt

Das Herz der Kirche schlägt bildend – Bildung als Aufgabe von Kirche und christliche Existenz als lebenslanges Lernen

Die Reformation – eine Bildungsbewegung

„Das Herz der Kirche schlägt bildend“

Bildungsangebote in der Evangelischen Kirche im Rheinland

Gott und die Welt zur Sprache bringen – Religionsunterricht heute

Bildung für alle

 

Geht aber hin und lernt

Das Herz der Kirche schlägt bildend – Bildung als Aufgabe von Kirche und christliche Existenz als lebenslanges Lernen

 Sara aber sagte: Gott ließ mich lachen. (Gen 21,6; Monatsspruch für Februar 2023)

Liebe Gemeinde, „Gott ließ mich lachen“, klingt schön. Es ist gut, etwas zu lachen zu haben. Wahrscheinlich denken Sie genau wie ich zuerst an etwas Schönes, das zum Lachen reizt. An etwas, das froh macht. Ich erinnere mich mit Freude an meinen Einführungsgottesdienst in der Friedenskirche. Es war ein schönes Fest. Sie mussten sich aber gleichzeitig von Pfarrerin Manuela Quester verabschieden – ein tiefer Einschnitt ins Gemeindeleben. Abschied und Neuanfang gehören zusammen. Sie merken schon, beim Lachen geht es nicht nur um Schönes, sondern oft ist es anders. Manchmal lache ich auch, weil etwas zu unglaublich ist. Sara ging es damals so, als sie im hohen Alter noch Mutter werden sollte. Das konnte sie nicht glauben und konnte über Gottes Ansage nur lachen. Es war zu lächerlich. Solches Auslachen blockiert jedoch die Zukunftsperspektive. Es will etwas verhindern. Als Auslachen verletzt es sogar andere. Wichtiger ist öffnendes Lachen gerade, wenn es mir nicht gut geht, wenn ich verzweifelt bin oder in schwieriger Lage. Ich habe zuletzt etwas mehr als ein Jahr als Seelsorger für vom Hochwasser Betroffene in der Eifel und an der Ahr gearbeitet. Ein Ziel dieser Arbeit ist, die Menschen wieder zum Lachen zu bringen. Vielleicht wissen Sie selbst, wenn ich lachen kann, kann ich Sorgen und Leid besser aushalten. Wieder zu lachen, ist der Anfang eines Neubeginns. Es fühlt sich anders an. Lachen kann mir positive Kraft und Zuversicht geben. Abschied, Leid, Trauer und Tod sollen nicht das Leben bestimmen, sondern die Menschen können darüber lachen und ihre Wirkung mindern. So wünsche ich Ihnen, dass Gott Sie lachen lässt und Sie wie Hanns Dieter Hüsch feststellen: „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. Gott nahm in seine Hände meine Zeit, mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen, mein Triumphieren und Verzagen, das Elend und die Zärtlichkeit.“

 Ihr Dirk Voos

Liebe Gemeinde, der vorliegende Gemeindebrief befasst sich mit dem Thema Bildung. Inspirieren lassen haben wir uns als Redaktionsteam dieses Mal von der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), die vom 15. bis 20.1.2023 unter der Überschrift „Sensibel für Vielfalt, offen für Gott – Bildung. Evangelisch. Frei.“ zum Schwerpunktthema Bildung getagt hat. In diesem Brief finden Sie eine Zusammenfassung der Arbeit der Landessynode, aber auch Artikel, die sich mit der historischen Bedeutung des Themas Bildung für die Evangelische Kirche, der Situation des Religionsunterrichtes an den Schulen, der Bildungsarbeit der EKiR und der Frage der Bildungsgerechtigkeit in unserem Land beschäftigen. Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre zu diesem wichtigen Thema.

Stefanie Graner

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 Die Reformation – eine Bildungsbewegung

Die Evangelische Kirche hat von ihrem Anbeginn an ein ganz besonderes Verhältnis zur Bildung. Martin Luther (1483 – 1546) hat sich vehement für das eingesetzt, was wir heute als Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe bezeichnen. Es war ihm wichtig, dass alle Menschen selbst in der Bibel lesen und die Texte verstehen können. Darum hat er die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt. Er ist dafür auf die Straßen und Plätze gegangen, um zu hören, wie die Menschen sprechen. Dann hat er die biblischen Texte aus dem hebräischen und griechischen Originaltext in diese Alltagssprache der Menschen seiner Zeit übersetzt. Für seine Liedtexte hat er die Gassenhauer seiner Zeit als Melodien ausgesucht. Und er hat ein Unterrichtsbuch verfasst, den Katechismus, um allen Glaubenden die Möglichkeit zu geben, sich ein Bild von ihrem Glauben und seinen Grundlagen machen zu können. Außerdem hat Luther sich bei den Landesherren dafür eingesetzt, dass sie Primar-/Schreibschulen für alle, Gelehrtenschulen für besonders begabte Schüler*innen und Universitäten einrichten. Mädchen sollten auch Zugang zu Bildung erhalten. Die Bibel sollte im Mittelpunkt des Schulunterrichtes stehen. Neben der institutionellen Bildung war Martin Luther die Familie als Bildungsort sehr wichtig, wo alle gemeinsam in der Bibel lesen und so die Möglichkeit bekommen, Gott und die Welt zu verstehen und zu gestalten. Nach seinem Verständnis ist der menschliche Glaube ein gebildeter Glaube, der sich in der eigenen Auseinandersetzung mit der biblischen Botschaft frei entfalten kann und nicht nur kirchliche Lehrsätze und Rituale unhinterfragt übernimmt und ausübt. Im reformatorischen Verständnis kann und muss sich jeder Mensch alleine vor Gott vertreten und bedarf keiner Vermittler. Dazu ist es nötig, sich selbst im Glauben gut auszukennen. Jeder Mensch hat vor Gott einen Wert und eine Würde und damit auch das Recht auf Bildung, um selbstständig und verantwortungsbewusst sein Leben und die Welt zu gestalten. Luthers Zeitgenosse und Mitstreiter Philipp Melanchthon (1497 – 1560) setzte sich ebenso vehement für die christliche Bildung ein und betonte den Zusammenhang zwischen Bildung und Bürgersinn. Eine lebendige Gesellschaft braucht gebildete Bürger*innen. „Wer keine Mühe darauf verwendet, dass seine Kinder so gut wie möglich unterrichtet werden, handelt nicht nur Pflichtvergessen gegenüber Gott, sondern verbirgt hinter einem menschlichen Aussehen seine tierische Gesinnung.[…] Daher besteht gerade in einer wohlgeordneten Bürgerschaft ein Bedarf an Schulen, in denen die Jugend, die Pflanzstätte der Bürgerschaft, ausgebildet wird.“ Darum hat auch Melanchthon Bildung für alle eingefordert und war davon überzeugt, dass jeder Mensch die Bibel selber lesen können muss, um ein mündiger Christ sein zu können. Er beteiligte sich an vielen Schulgründungen und reformierte das Universitätswesen. Er bekam den Beinamen „Lehrer Deutschlands“ und wirkte auch in Europa maßgeblich bei der Entwicklung des Bildungssystems mit.

Stefanie Graner

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„Das Herz der Kirche schlägt bildend“

Tagung der Rheinischen Landessynode – Schwerpunktthema Bildung

Eine Zusammenfassung aller wichtigen Beschlüsse bietet die zehnseitige Ausgabe von synode.info. Sie ist unter landessynode.ekir.de, dort unter synode.info abrufbar.

„Das Herz der Kirche schlägt bildend“

„Sensibel für Vielfalt, offen für Gott – Bildung. Evangelisch. Frei.“ – so ist das Schwerpunktthema der Landessynode 2023 überschrieben.

Vernetzung bestehender Bildungsangebote

Was Bildungslandschaften sind und was für ihre Entstehung wichtig ist, fasste zunächst Professorin Sandra Aßmann von der Ruhr-Universität Bochum zusammen: Der Begriff Bildungslandschaft meine die Vernetzung aller an Bildung beteiligten Akteure auf kommunaler Ebene, erklärte die Erziehungswissenschaftlerin. Dazu gehöre der Wille, auch wirklich alle Akteure einzubeziehen, und die Bereitschaft zur Vernetzung bestehender Bildungsangebote. Nur so könne die Effektivität von Bildungsangeboten gesteigert werden und könnten neue Bildungsprozesse entstehen. Wichtig sei auch eine kritische Bestandsaufnahme der eigenen Bildungsangebote: Wer nutzt sie tatsächlich? Und wer nicht? Beim Aufbau von Strukturen sei es wichtig, die Perspektive des lernenden Menschen einzunehmen und nicht nur die der Institution. Die grundsätzliche Frage sei aber nicht, ob Bildungslandschaften entstehen können, sondern wie. „Es wird die Zukunft sein. Die Frage ist, wie wir sie gestalten.“

Religiöse Elementarpädagogik für alle Träger auf kommunaler Ebene

Die Gestaltung von Bildungslandschaften war Thema des zweiten Impulsreferats von Dr. Jens Dechow, Direktor des Comenius-Instituts in Münster. Auch aus seiner Sicht ist es unerlässlich, vom Menschen her zu denken und nicht von der Institution: „Wir müssen unseren Blick weiten und Vielfalt wahrnehmen.“ Sinnvoll sei auch zu prüfen, wo Kooperationen möglich sind – mitmachen statt selbst machen. Oder zu schauen, wo Kirche mit ihrem religiösen Bildungsangebot Teil von etwas Größerem werden kann. Eine Möglichkeit könnte zum Beispiel sein, im Bereich der Kitas religiöse Elementarpädagogik nicht nur in den eigenen Einrichtungen anzubieten, sondern auf kommunaler Ebene für alle Träger. Kirchliche Akteure sollten sich genau fragen, welche Ziele sie verfolgen wollen. Und dann den Mut aufbringen zu öffentlichen Kooperationen und gesellschaftlichem Einmischen. „Das Herz der Kirche schlägt bildend“, sagte Dechow. „Und es sollte mitten in der Gesellschaft schlagen.“

Vielfaltssensibel und vernetzt

Die rheinische Kirche hat für die Zukunft ihrer Bildungsarbeit vier Schwerpunkte gesetzt: vielfaltssensible Bildung fördern, vernetzte Bildungslandschaften gestalten, Religionslehrerinnen und -lehrer von Anfang an unterstützen und religiöse Bildung in Familien stärken. Diese Ziele sind Kern des Impulspapiers „Sensibel für Vielfalt, offen für Gott – Bildung. Evangelisch. Frei“.

Barrieren abbauen und Partizipation ausweiten

Mit einer vielfaltssensiblen Bildung ist eine Bildungsarbeit gemeint, die Barrieren abbaut, durch die Partizipation eingeschränkt wird oder Menschen ausgeschlossen werden. In einem Projekt sollen durch Bildungsveranstaltungen auf landeskirchlicher Ebene neue, barrierefreie und vielfaltssensible Bildungsprozesse und Begegnungsformate entwickelt und gefördert werden.

Bildungslandschaften vernetzt gestalten

Das vielfältige Bildungsangebot auf den verschiedenen Ebenen der Landeskirche soll besser genutzt werden, indem Angebote in einer Region und ihre Zusammengehörigkeit zielgerichtet weiterentwickelt werden. Dabei liegt der Fokus nicht auf den vorhandenen Strukturen, sondern auf den Menschen vor Ort. Das dazugehörige Projekt sieht die Erarbeitung eines Leitfadens für die Entwicklung vernetzter Bildungslandschaften in Kirchenkreisen vor. Dieser soll die Erfahrungen anderer Bildungsanbieter auf die kirchlichen Bedingungen beziehen.

Religionslehrerinnen und -lehrer von Anfang an unterstützen

Bildungslandschaften sollen angehende Religionslehrerinnen und -lehrer bereits im Studium dabei unterstützen, ein berufliches Selbstkonzept und ihre eigene evangelische Identität zu entwickeln. Ausgehend davon, was die Studierenden brauchen, machen die Bildungslandschaften vorhandene kirchliche Bildungsangebote sichtbar und nutzbar. Dazu sollen an den sechs Hochschulstandorten mit dem Studiengang Evangelische Theologie auf Lehramt (Duisburg-Essen, Wuppertal, Köln, Bonn, Koblenz und Saarbrücken) gemeindliche, kreiskirchliche, landeskirchliche und diakonische Bildungsangebote und Einrichtungen als Bildungs- und Unterstützungslandschaft erschlossen werden.

Religiöse Bildung in Familien stärken

Entscheidende Orte für die religiöse Prägung sind die Elternhäuser. Dort erleben Kinder religiöse Praxis – oder eben nicht. Vielen Eltern fällt die religiöse Alltagsgestaltung schwer. Die Evangelische Kirche im Rheinland möchte Mütter, Väter, Großeltern, Patinnen und Paten dabei unterstützen, mit Kindern eine evangelische Glaubenspraxis zu gestalten und dabei anderen Konfessionen und Religionen gegenüber aufgeschlossen zu sein.

Konkret soll dazu ein Podcast für Familien entwickelt werden, der Themen aus dem Familienalltag mit religiösen Fragen verbindet.

Zusammenstellung: Gudrun Engel

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Bildungsangebote in der Evangelischen Kirche im Rheinland

Die Kirchen in Deutschland sind neben den staatlichen Bildungseinrichtungen die zweitgrößte Bildungseinrichtung im Land. Sie bieten Menschen aller Altersgruppen in ihren Einrichtungen die Möglichkeit des lebenslangen Lernens. Folgende Bildungseinrichtungen finden sich unter dem Dach unserer Landeskirche, der Evangelischen Kirche im Rheinland:

Kindertageseinrichtungen

Unter dem Dach der Evangelischen Kirche im Rheinland gibt es zirka 840 evangelische Kindertageseinrichtungen. Jede dieser Einrichtungen arbeitet nach einer Konzeption, in der unsere christlichen Wer-te sowie religionspädagogische Angebote ver-ankert sind. Kindertageseinrichtungen sind entscheidende Bezugspunkte von Menschen zur Kirche. Durch sie erreicht unsere Kirche viele Familien. Der Auftrag von Kindertageseinrichtungen umfasst die Bildung, Erziehung und Betreuung. Kirche leistet in diesem Bereich einen bedeutenden gesellschaftlichen Beitrag, um Kinder bestmöglich zu fördern und die Chancengerechtigkeit zu verbessern. (ekir.de/inhalt/kindertageseinrichtungen/)

Kirchliche Schulen

Die Evangelische Kirche im Rheinland ist Trägerin von zehn Schulen (sieben Gymnasien, zwei Gesamtschulen und der Schule für Circuskinder des Landes NRW) mit 7645 Schülerinnen und Schülern, die von 656 Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet werden. Die rheinische Kirche verwirklicht damit exemplarisch und modellhaft Schulen nach evangelischem Bildungsverständnis und übernimmt so als bildungspolitische Gesprächspartnerin gesellschaftliche Verantwortung. (ekir.de/themen/ueber-uns/kirchliche-schulen/)

Konfirmandinnen- und Konfirmandenarbeit

Rund 17.000 junge Menschen im Alter von zwölf bis 14 Jahren werden jedes Jahr in den rheinischen Kirchengemeinden konfirmiert. Die Konfirmation ist für Jugendliche eine stärkende Segenshandlung für ihren weiteren Lebensweg. Sie befähigt zum Patenamt sowie zum aktiven Wahlrecht in der Gemeinde. Die Konfirmanden*innenarbeit bereitet die Konfirmation vor. Wir sehen diese Arbeit als ein Kernstück unseres evangelischen Bildungshandelns. Jugendliche setzen sich in der Gemeinschaft mit ihren Lebensfragen, der Bibel und der Kirche auseinander. Sie werden sprachfähig und entwickeln ihre eigene Beziehung zum Glauben weiter. Sie erleben, wie und was sie in ihrer Kirchengemeinde und im Alltag aus dem Glauben heraus mitgestalten können. (ekir.de/inhalt/konfirmationkonfirmandinnen-und-konfirmandenarbeit/)

Religionsunterricht

Knapp eine halbe Million Schülerinnen und Schüler nehmen auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche im Rheinland am evangelischen Religionsunterricht teil. Dabei werden sie von 10.000 Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet. Auf dem Lehrplan stehen Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach Gott, nach der Deutung der Welt sowie nach Leben und Tod. Der Unterricht soll dazu beitragen, sich des eigenen, christlichen Lebens und Handelns bewusst zu werden. Damit vermittelt er mehr als reines Wissen über Religion. In Deutschland ist Religionsunterricht ordentliches – verpflichtendes – Lehrfach und damit durch das Grundgesetz geschützt. In der Lehre wird dabei die Übereinstimmung mit den „Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ garantiert. Der Unterricht wird von ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern, aber auch von Pfarrerinnen und Pfarrern erteilt. (ekir.de/inhalt/religionsunterricht/)

Pädagogisch-Theologisches Institut

Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, werden im Pädagogisch-Theologischen Institut der Evangelischen Kirche im Rheinland fort- und weitergebildet: Für Schule, Konfirmandenarbeit, integrative Arbeit mit Menschen mit und ohne Behinderung und religionspädagogische Arbeit mit Erzieherinnen und Erziehern in Tageseinrichtungen für Kinder bietet das Pädagogisch-Theologische Institut, kurz PTI, an vielen Orten der rheinischen Kirche entsprechende Kurse etc. an. In den Fort- und Weiterbildungsangeboten geht es um theologische Fragen aus gemeindepädagogischer und religionsdidaktischer Perspektive. Dazu entwickelt das PTI vielfältige Materialien zu aktuellen religionspädagogischen Themen. (ekir.de/themen/ueber-uns/paedagogisch-theologisches-institut/)

Erwachsenen- und Familienbildung

Die staatlich anerkannten Einrichtungen der Evangelischen Erwachsenen- und Familienbildung sind ein wichtiger Baustein in der außerschulischen Bildungslandschaft. Sie bieten Angebote für Menschen jeden Alters. Auf Basis unseres christlichen Glaubens sollen damit Orientierung und Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden. Evangelische Bildungsarbeit ermutigt und befähigt Menschen, ihre schöpferischen Möglichkeiten zu nutzen. Sie steht für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung ein. Wir unterstützen, dass die Angebote unserer Einrichtungen der Erwachsenen- und der Familienbildung auch in Zukunft insbesondere Menschen ansprechen, deren Förderung durch das herkömmliche Bildungssystem nur schwer gelingt. (ekir.de/inhalt/erwachsenen-und-familienbildung/)

Stefanie Graner

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Gott und die Welt zur Sprache bringen – Religionsunterricht heute

Kinder haben ein Recht auf religiöse Bildung, und um diese geht es im Religionsunterricht, der im Grundgesetz garantiert und ein ordentliches Lehrfach an allen allgemeinbildenden Schulen und an Berufskollegs ist. Wie genau Religionsunterricht organisiert wird, ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. In NRW haben wir weiterhin wie die meisten anderen Bundesländer einen konfessionellen Religionsunterricht. Die Inhalte werden von der Kirche verantwortet, aber gleichzeitig gelten hier auch die staatliche Schulaufsicht und staatliche Lehrpläne, es gibt Noten und man kann in Religion auch eine Abiturprüfung ablegen. Die Zeiten, in denen es selbstverständlich war, dass Schüler*innen entweder der evangelischen oder der römischkatholischen Kirche angehörten, sind lange vorbei. Viele Kinder kommen aus muslimischen Familien und der Anteil der Kinder ohne Konfession nimmt stetig zu. Dies bedeutet zwar nicht automatisch, dass Kinder keinen Bezug mehr zum christlichen Glauben haben, so werden in der Evangelischen Kirche häufig Jugendliche erst im Zusammenhang mit ihrer Konfirmation getauft. Doch es ist klar, dass die gesellschaftliche Situation auch den Religionsunterricht vor Herausforderungen stellt, wie auch manche Schulen, für die es organisatorisch kompliziert werden kann. Dies hat in den letzten Jahren zu unterschiedlichen Antworten geführt: Seit 2012 ist der Islamische Religionsunterricht in NRW ordentliches Lehrfach. Rein rechtlich können die Eltern die Einführung des Faches einfordern, wenn 12 Schüler*innen dieses Bekenntnisses an der Schule sind. Doch bis heute machen nur wenige Schulen dieses Angebot. Das liegt zum einen daran, dass es hierfür noch viel zu wenige ausgebildete Lehrkräfte gibt, aber zum Teil auch daran, dass es Vorbehalte gegenüber diesem neuen Fach gibt. Die Erfahrungen zeigen demgegenüber, dass alle an der Schule davon profitieren, wenn die muslimischen Schüler*innen an einem modernen und dialogfähigen Religionsunterricht teilnehmen können. An manchen Schulen gibt es dann auch gemeinsame Projekte mit dem christlichen Religionsunterricht, so dass interreligiöses Lernen möglich wird. Eine weitere Antwort auf die veränderte gesellschaftliche Situation liegt darin, das Fach Praktische Philosophie, das es bislang nur an weiterführenden Schulen gab, nun auch an den Grundschulen einzuführen. Schülerinnen und Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, nehmen dann am Fach Praktische Philosophie teil. Grundsätzlich bleibt der evangelische Religionsunterricht offen für alle, die an ihm teilnehmen möchten: Evangelisch ist der Unterricht nämlich, weil die Lehrkraft und auch die Inhalte evangelisch sind, nicht die Schüler*innen. Sie sollen auch nicht etwa „evangelisch gemacht werden“, sondern der Unterricht hat zum Ziel, dass Schülerinnen und Schüler Religion so kennenlernen, dass sie ihre positive wie negative Religionsfreiheit reflektiert wahrnehmen können. Die konfessionelle Bindung der Lehrkraft ist dabei nicht nur formal erforderlich, sondern auch für das Lernen wichtig: Dahinter steht der Gedanke, dass es anders als in einem religionskundlichen Unterricht wichtig ist, dass die Lehrkraft eine bestimmte Perspektive anbietet, die die Schüler*innen nicht übernehmen müssen, an der sich aber Dialogfähigkeit und in Zustimmung und Abgrenzung das Bilden einer eigenen Identität entwickeln können. Die Bildung zur Pluralitätsfähigkeit, wie es in einer Handreichung der EKD heißt, kann nur so geschehen – auch weil es christlichen Glauben niemals ganz allgemein, sondern immer nur in einer konfessionellen Ausprägung und Praxis gibt. Religionsunterricht hat also keinen Missionsauftrag, vielmehr gilt auch hier das Überwältigungsverbot. Er nimmt Schüler*innen jeden Alters in ihren eigenen Gedanken und Fragen ernst und schafft den Raum, über Gott und die Welt nachzudenken, den christlichen Glauben in seinen Vollzügen und biblischen Grundlagen kennenzulernen und nicht zuletzt kulturell wichtiges Wissen zu erwerben. Neu ist seit diesem Jahr auch bei uns die Möglichkeiten des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts. Diesen kann eine Schule beantragen, wenn es einen evangelisch-katholisch gemeinsam verantworteten Lehrplan gibt, regelmäßig katholische und evangelische Lehrkraft wechseln und bestimmte Themen, die konfessionell unterschiedlich sind, auch als solche unterrichtet werden. Es bleibt abzuwarten, wie viele Schulen sich dieses Modell, das umfangreiche Abstimmungen erfordert, zueigen machen werden. Manchmal wird gefordert, den konfessionellen Religionsunterricht ganz abzuschaffen, weil er der gesellschaftlichen Realität nicht mehr entspreche. Doch dies missachtet das Recht auf religiöse Bildung von Kindern und Jugendlichen und den wichtigen Beitrag, den der Religionsunterricht für die eigene Identität und die Welterschließung bietet. Übersehen wird dabei auch, dass der Religionsunterricht in die Schule hineinwirkt und zur Gestaltung einer religiösen Schulkultur beiträgt, die den vielfältigen religiösen Hintergründen der Schüler*innen Rechnung trägt. Das Angebot von Schulgottesdiensten und Schulfeiern, der Umgang mit Krisen an Schulen, Räume der Stille bis hin zur Schulseelsorge in ihren vielfältigen Ausprägungen sind ohne einen Religionsunterricht kaum vorstellbar. Schulgottesdienste bieten zudem die Chance, eine Verbindung von Gemeinde und Schule zu schaffen, von der beide profitieren. Eine Kontaktpflege mit den Religionslehrkräften der Schulen auf dem Gemeindegebiet wird in manchen Kirchengemeinden seit Jahren mit Erfolg praktiziert. Religionsunterricht ist also ein ordentliches Lehrfach mit allem, was dazu gehört. Und er ist ein besonderes Lehrfach, das die Möglichkeit bietet, Gott und die Welt zur Sprache zu bringen und gemeinsam über die großen Fragen nachzudenken.

Schulreferat in Bonn: Beate Sträter & Hiltrud Stärk-Lemaire

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Bildung für alle

Wir haben in Deutschland ein Schulsystem, das viele Möglichkeiten bietet. Es ist dreigliedrig, bietet drei verschiedene Schulformen. Und darüber hinaus Berufsschulen, Fachschulen und anderes mehr. Also für jede und jeden das passende Bildungsangebot? Auf den ersten Blick sieht das gut aus. Auf den zweiten Blick wird das schon etwas komplizierter:

Bildungsforscher stellen immer wieder fest, dass in keinem entwickelten Land der Bildungserfolg von Schüler*innen so sehr von der Herkunft, von Bildungsstand und finanziellen Möglichkeiten der Eltern abhängt, wie in Deutschland. Benachteiligt sind oft Schüler*innen mit Migrationshintergrund, mit Behinderungen oder aus finanzschwachen Familien. Jahr für Jahr verlassen viele die Schulen ohne Abschluss. Es gibt in der Gesellschaft eine große Diskussion zum Thema Fachkräftemangel. Da lässt sich leicht erkennen, dass es eine richtig gute Idee wäre, mehr Kraft in die Bildung und Ausbildung aller Schülerinnen und Schüler zu stecken. Investitionen in Bildung sind Zukunftsinvestitionen. Sie rechnen sich für die Gesellschaft. Um es freundlich zu formulieren: Die Bemühungen der Politik um eine Verbesserung der Situation reichen nicht aus! Nach wie vor wird für Gymnasien pro Schüler*in und Jahr mehr Geld ausgegeben als an Hauptschulen. Nach wie vor werden Schulen mit vielen bildungsbenachteiligten Schüler*innen nicht besser ausgestattet als andere, obwohl da doch mehr Personal und Raum gebraucht würde, um angemessen zu fördern. Personal: Je kleiner die Zahl der Schüler*innen pro Klasse, desto mehr Zeit für jede und jeden Einzelnen. Pädagogische Arbeit ist Beziehungsarbeit, ist gemeinsames erarbeiten von Inhalten. Jede*r Schüler*in ist anders, braucht andere Herangehensweisen der Lehrperson, um lernen zu können Raum: Oft ist in Klassenräumen zu wenig Platz, um mit vielfältigen Lernformen arbeiten zu können. Und oft sind einfach zu wenige Räume vorhanden. Die Stadt Bonn versucht, an den Grundschulen dem Problem mangelnder Förderung entgegenzuwirken, insbesondere mit einer recht guten Ausstattung der offenen Ganztagsgrundschulen. Das passiert in Form einer über die Vorgaben des Landes hinausgehenden Finanzierung der Nachmittagsbetreuung an den Grundschulen. Dabei werden Schulen in sozialen Brennpunkten besser finanziert. Aber für die personelle Ausstattung der Schulen ist das Land zuständig. Was muss sich ändern? Jede Schule muss so ausgestattet sein, dass sie für ihre Schülerinnen und Schüler eine angemessene Förderung bieten kann. Das betrifft Personal (nicht nur Lehrer*innen), Räume, Lehr- und Lernmittel. Und – traurig, dass man das sagen muss – Toiletten! Wir brauchen Konzepte zur individuellen Förderung aller Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrem Bedarf. Konzepte, die es möglich machen, sich an den individuellen Bedarfen – und die sind vielfältig! – zu orientieren und die das Erlernen des selbstständigen Arbeitens als zentrales Element aufweisen. Das gilt für alle Kinder, für die hochbegabten, wie auch für die mit Einschränkungen oder auf andere Weise schlechten Startbedingungen (z.B. Sprache). Wir brauchen an den Schulen eine Kultur des Förderns, nicht des Aussiebens. Das betrifft die Regeln im Schulsystem, die Lehrpläne und auch die Haltung des Lehrpersonals. Wir brauchen für die Lehrer*innen Arbeitsbedingungen, die eine solche Kultur des Förderns ermöglichen. Davon sind wir leider weit entfernt. Bildungsgerechtigkeit würde voraussetzen, dass diese Probleme gelöst bzw. die genannten Bedingungen geschaffen werden. Und das würde richtig viel Geld kosten und eine andere Denkweise der Bildungspolitik brauchen.

Ulrich Hamacher, Geschäftsführer Diakonisches Werk Bonn

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