Gemeindebrief (barrierefrei)

Gemeindebrief (barrierefrei)

I/2024: Quo vadis Friedenskirche?

Inhaltsverzeichnis

Quo vadis Friedenskirche?

Die Zukunft unserer Friedenskirchengemeinde im Kooperationsraum mit der Kreuz-, der Luther- und der Trinitatiskirchengemeinde

Notfallseelsorger im Einsatz – 3 Säulen

Starke Argumente für die Kirche

Gottesdienstliches Wort des Präses der EKIR Dr. Thorsten Latzel zur ForuM-Studie

Was ist die ForuM-Studie?

„Kein Täter werden“

Quo vadis Friedenskirche?

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ 1. Korinther 16

Die Jahreslosung möchte uns in 2024 wieder begleiten, Mut geben, zum Nachdenken anregen. Der Satz des Paulus, geschrieben an die Gemeinde in Korinth, zielt auf die zentrale Botschaft des Evangeliums ab und ist das Herzstück des Glaubens: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Wir wissen es, Liebe gibt Geborgenheit, Liebe macht Menschen glücklich, Liebe verzeiht und heilt Wunden. Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott.

Ich verstehe die Jahreslosung als Impuls dafür, dass Menschen (wieder) zueinander finden, aber auch für die Überzeugung, dass Himmel und Erde, Gott und Mensch, Gesellschaft und Kirche, Alltag und Gottesdienst, sich gegenseitig berühren und ineinander greifen sollen.

Alle Bereiche des Lebens sollen von der Liebe Gottes durchdrungen werden und wir geben sie weiter. Wie viel bereits „in Liebe“ durch ehrenamtliches Engagement und das aktive Christsein in der Kirchengemeinde und in der Stadt Bonn geschieht, lässt sich überall beobachten. „Na, klar,“ sagen wir da vielleicht, „das ist doch selbstverständlich.“ Aber ist das auch so einfach und so selbstverständlich? Der Anfang dieses Jahres und das Erscheinen dieses Briefes fallen in die Wochen von Demonstrationen in Bonn und in vielen anderen Städten. Die evangelischen Kirchengemeinden in Bonn haben sich diesem Aufruf öffentlich angeschlossen, denn sie sahen sich in der Verantwortung für Menschenrechte und den Erhalt der Demokratie in Deutschland zu demonstrieren, Menschen zu bewegen und ein Bewusstsein zu schaffen. Viele sind diesem Aufruf aus Gründen der Nächstenliebe gefolgt. Allein bei einer Demonstration wird es nicht bleiben können. Die Auseinandersetzung darüber, wie wir in der Gesellschaft leben wollen, wird im Großen und Kleinen weitergehen. Auch dies sollte in Liebe geschehen und möge dabei die Jahreslosung Wegweiser sein.

Annette Ziegler

nach oben

Die Zukunft unserer Friedenskirchengemeinde im Kooperationsraum mit der Kreuz-, der Luther- und der Trinitatiskirchengemeinde

In der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKIR) hat ein großer Veränderungsprozess begonnen. Dieser reagiert auf die Veränderungen von Kirche und Gesellschaft in unserem Land.

Die Mitgliederzahlen sinken und im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung liegt die Zahl der Menschen, die einer verfassten christlichen Kirche angehören seit 2023 unter 50%. Es gibt immer weniger Menschen, die evangelische Theologie studieren und den Beruf der Pfarrer*in ergreifen. Auch in anderen kirchlichen Berufsfeldern, wie Kirchenmusiker*innen, Gemeinde- und Religionspäda-gog*innen, kirchliche Verwaltungsmitarbeiter*innen, Diakonin*innen, etc. lassen sich immer weniger Menschen ausbilden. Die Zahl der Menschen, die sich in Kirchengemeinden ehrenamtlich engagieren möchten, ist ebenfalls weniger geworden. Und nicht zuletzt sinken die Kirchensteuereinnahmen.

Das alles macht es nötig, dass sich die Kirchengemeinde vor Ort diesen Prozessen stellen und nach guten Lösungen suchen, wie sie weiter in guter Art und Weise christliche Präsenz im Ort zeigen und die Botschaft in den Alltag der Menschen tragen können.

Als eine Maßnahme hat die Herbstsynode 2022 des Kirchenkreises Bonn nach einem langen Beratungsprozess unter Beteiligung aller Gemeinden beschlossen, dass unsere Friedenskirchengemeinde gemeinsam mit der Kreuz-, der Luther- und der Trinitatiskirchengemeinde einen sog. Kooperationsraum bilden wird. Diesem stehen dann ab 2030 noch 3,5 Pfarrstellen zur Verfügung.

Darum haben jeweils zwei Presbyteriumsmitglieder und die Pfarrstelleninhaber*innen aller vier Gemeinden Kooperationsgespräche aufgenommen, um diesen Prozess gut zu gestalten. Es soll darum gehen, welche Aufgaben von den 3,5 Pfarrstellen ab 2030 im Kooperationsraum wahrgenommen werden. Außerdem wird überlegt, wie die Stärken der jeweiligen Gemeinde für alle fruchtbar zu machen sind, wo man sich gegenseitig unterstützen und entlasten kann, damit nicht alle alles machen. Die ersten Treffen 2023 dienten dem gegenseitigen Kennenlernen. Auch Hoffnungen und Befürchtungen wurden ausgetauscht.

Nun ist ein externer Berater hinzu gekommen, um gemeinsam mit den Teilnehmer*innen ein tragfähiges und zukunftsweisendes Konzept für den Kooperationsraum zu entwickeln. Dies geschieht in enger Rückbindung an die Presbyterien der vier Gemeinden und wird auch von diesen am Ende entschieden werden. Hinzu gekommen ist auch die Aufgabe, den Gebäudebestand in den Blick zu nehmen, da die EKIR beschlossen hat, im Jahr 2035 „treibhausgasneutral“ zu sein. Es ist also nötig, alle Gebäude im Kooperationsraum, d.h. Kirchen, Gemeindehäuser, Jugendheime und Immobilien, auf ihren energetischen und baulichen Zustand zu prüfen und Entscheidungen vorzubereiten.

Es gibt also viel zu tun. Wenn Sie sich für diesen Prozess interessieren oder an der einen oder anderen Stelle über die Zukunft Ihrer Kirchengemeinde mitdenken möchten, sprechen Sie bitte die Presbyteriumsmitglieder an.

Stefanie Graner

nach oben

Notfallseelsorger im Einsatz – 3 Säulen

„Jeder trauert auf seine eigene Art und Weise“

Als am Tag vor Silvester 2023 ein 14-Jähriger Junge bei einem Unfall in Niederkassel ums Leben kam, waren neben den Rettungskräften auch Notfallseelsorger vor Ort. Sie kümmern sich nach Unglücken um die Betroffene. Albi Roebke, Leiter der Notfallseelsorge Bonn-Rhein-Sieg, berichtet, wie sie den Eltern des Unfallopfers und Menschen in ähnlicher Lage helfen.

Der evangelische Pfarrer zitiert ein jüdisches Sprichwort: „Wenn ein Kind stirbt, stirbt die Zukunft“, endet es. Beim Tod eines Kindes sei die Art der Trauer ist eine ganz andere, macht Albi Roebke, Leiter der Notfallseelsorge Bonn-Rhein-Sieg, deutlich. „Es hat etwas widernatürliches, wenn Kinder vor ihren Eltern gehen. Es soll so nicht sein“. Die Trauer unterscheide sich von anderen Todesfällen, habe ganz andere Dimensionen. „Die Wahrheit ist: Es gibt gerade weder Trost noch Hilfe für die Eltern.“

Er und sein Team der Notfallseelsorge sind bei Unglücken und plötzlichen Todesfällen vor Ort, um die Betroffenen zu begleiten. Bei dem Unfall in Niederkassel, bei dem ein 14-jähriger Junge starb, waren fünf Notfallseelsorger im Einsatz. Sie kümmerten sich auch um Unfallzeugen und Ersthelfer. Roebke leitete den Einsatz am Telefon. Das Ziel ihrer Maßnahmen, sagt er, ist die Traumaprävention. „Wenn Leute relativ schnell Begleitung erfahren, sinkt die Wahrscheinlichkeit für ein Trauma ein halbes Jahr später um ein Drittel“, so der Seelsorger.

„Die Seele schützt dich“

Um die Betroffenen aus dem Zustand von Schock und Ohnmacht zu holen, stützen sich die Notfallseelsorger auf drei Säulen: Die erste Säule ist die Psychoedukation. Sie hat zum Ziel, dass Betroffene sich selbst und ihr Verhalten in einer Extremsituation verstehen. „Dabei gilt es, den Menschen klar zu machen: Du bist nicht verrückt, sondern zeigst eine ganz normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis“, sagt Roebke. Als Beispiel nennt er die Situation, in der ein Angehöriger eines Unfallopfers sich mit etwas scheinbar Unwichtigen wie der Suche nach dessen Schuhen beschäftigt. „In diesen Momenten hat man sehr wenig Kontrolle, also sucht man sich mit etwas, über das man Kontrolle hat“, so der Seelsorger.

Auch ist es normal, dass jemand, der mit einer Schreckensnachricht konfrontiert wird, zunächst glaubt, gar nichts zu fühlen. „Du spürst nicht nichts“, sagt Roebke. „Du spürst zu viel und deine Seele schützt dich davor.“ Der Pfarrer spricht in dieser Situation von Verdrängung, „da, wo sie hingehört.“ Dies sei eine neurologische Reaktion. „Wenn ich körperlichen Schmerz zulasse, kann ich in einer Gefahrensituation nicht mehr fliehen.“ Dieser Mechanismus greife bei ebenso bei seelischem Schmerz. „Das können wir den Betroffenen erklären, es aber nicht abmildern“, erklärt er. Doch das Erklären kann Betroffene helfen, sich selbst nicht für ihre Reaktion verurteilen.

Ein weiterer Pfeiler seiner Arbeit ist die Selbstermächtigung der Betroffenen. Denn ein Ereignis wie der tödliche Unfall eines Kindes erschüttert das Weltbild vollständig. „Wenn mein Kind nicht mehr nach Hause kommt, weil es an einer Bushaltestelle saß, worauf in der Welt kann ich mich denn überhaupt noch verlassen?“, gibt Roebke zu verstehen. Deshalb sei es wichtig, die Betroffenen etwas entscheiden zu lassen, dass dann auch tatsächlich eintrete. Die Entscheidung vermittele das Gefühl von Eigenmächtigkeit – davon, noch etwas in der Hand haben. So fragt er: „Möchten sie jetzt jemanden hier haben oder lieber alleine sein?“ Je nach Antwort vermittelt er dem Umfeld, dass die Betroffenen noch ein wenig Zeit brauchen oder hilft dabei, Freunde oder Verwandte zu kontaktieren.

Schulddebatte und Spenden

Die dritte Säule besteht darin, noch einmal in Ruhe die Abläufe zu erklären. „Auch, wenn die Polizei vorher alles fein säuberlich erklärt hat, fragen die Leute uns nachher danach“, so Roebke. Denn Menschen nehmen in Stresssituationen Informationen deutlich langsamer auf. Für sie ist es nützlich, einen Außenstehenden an ihrer Seite zu haben, der noch einmal alles ausführt und über Fach wissen verfügt. Auch im weiteren Umfeld sind die Anteilnahme und der Wunsch zu helfen groß: Spendenaufrufe sind laut Roebke ein Bedürfnis der Menschen, wenn etwas Schreckliches in ihrer Nähe geschehen ist. Ein Ankämpfen gegen die eigene Ohnmacht. Denn die ist nicht nur für die Betroffenen ein Thema, sondern auch für Außenstehende. „Davon abgesehen hilft das Geld, schon, weil es vieles leichter macht“, sagt Roebke. Weil das Gefühl der Ohnmacht schwer auszuhalten ist, sei auch die Suche nach einem Schuldigen nachvollziehbar. „Je weniger irgendjemand etwas falsch gemacht hat, desto weniger habe ich das unter Kontrolle, desto mehr finde ich mich in der Ohnmacht wieder“, so der Seelsorger.

Insel der Normalität

Das Team der Notfallseelsorge bietet auch Unterstützung an Schulen und in Vereinen an. „Geschwisterkinder sind in einer besonderen Situation: Sie trauern selbst und sehen gleichzeitig ihre trauernden Eltern.“ Das könne dazu führen, dass sie glauben, nun perfekt funktionieren zu müssen. Deshalb plädiert Roebke dafür, betroffene Geschwisterkinder in der Schule normal zu behandeln. „Die Schule ist häufig die einzige Insel der Normalität – der Ort, wo die Welt so ist, wie sie vorher war.“ Die durchaus „liebevolle Tendenz, die Kinder in Watte zu packen“, ist laut Roebke für die Betroffenen eine Verlängerung der Katastrophe.

Der Seelsorger sieht es auch als seine Aufgabe, deutlich zu machen, dass Menschen auf verschiedene Art trauern. Gerade für Paare, die ein Kind verloren haben, kann es schwierig sein, diese Unterschiedlichkeit auszuhalten. Dabei können sie sich, wenn es gut läuft, dank eines unterschiedlichen Rhythmus ergänzen. Trösten jedoch kann sich jeder nur selbst. „Aber als Seelsorger kann ich bei der Suche nach etwas helfen, das Trost spendet“, so der Pfarrer. Wichtig sei es, gemeinsam mit den Betroffenen auszuhalten, dass es zunächst keine Linderung gibt. „Dein altes Leben ist zerschossen und es wird nicht mehr wie früher“, sagt Roebke. „Doch das heißt nicht, dass du nicht wieder ein erfülltes Leben haben wirst.“

PSU und Notfallseelsorge

Hilfe für Einsatzkräfte und Betroffene

Die Notfallseelsorge Bonn/Rhein-Sieg steht 365 Tage im Jahr rund um die Uhr zur Verfügung und kann von den Rettungsdiensten, den Feuerwehren und von der Polizei alarmiert werden, wenn Menschen akute Unterstützung und Krisenhilfe benötigen. Sie ist eine ökumenische Initiative der beiden großen Kirchen und übernimmt die Betreuung von Angehörigen oder Betroffenen.

Die Teammitglieder des PSU-Teams Bonn-Rhein-Sieg sind geschulte Frauen und Männer aus Feuerwehren und anderen Hilfsorganisationen, die Einsatzkräfte bei oder nach belastenden Einsätzen betreuen. Die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen unterstützt die Aktiven bei dieser Aufgabe.

Albi Roebke, leiternder Pfarrer der Notfallseelsorge Bonn Rhein Sieg

Ines Bresler, Redakteurin der Redaktion Rhein Sieg des Generalanzeigers Bonn

Die Gemeindebrief-Redaktion dankt Herrn Roebke für die zur Verfügungstellung des Artikels. Der Inhalt kann zum Einen allen Leser*innen Anregungen für das eigene Tun geben und macht zum Anderen deutlich, dass in der Notfallseelsorge und auch in den Gemeinden und Kliniken, in Altersheimen, Gefängnissen und Schulen Pfarrerinnen und Pfarrer Menschen seelsorgerlich zur Seite stehen. Das ist ein wichtiges Arbeitsfeld von Kirche, das auch Geld kostet.

Stefanie Graner

nach oben

Starke Argumente für die Kirche

Zwei Kirchenkreise liefern mit evangelischfuerdich.de ansprechend aufbereitete Informationen rund um Kirchensteuer und Co.

Wer im Internet nach Informationen zur Kirchenmitgliedschaft oder dem Procedere des Austritts sucht, findet vor allem eines: Formulare und Auskünfte über die Folgen. Aber Moment: Zwei Kirchenkreise stemmen sich mit einem frischen Webauftritt und einer zielgerichteten Google-Kampagne gegen den Einheitsbrei! Wer in den Kirchenkreisen Düsseldorf oder Jülich wohnt und „Kirchenaustritt“ oder „Wofür Kirchensteuer?“ in die Suchmaschine eingibt, landet mit großer Wahrscheinlichkeit auf der Website evangelischfuerdich.de.

Und findet dort: Übersichtliche, kompakte Informationen zum Kirchenaustrittsgesetz, der Kirchensteuer sowie über die Verwendung der Gelder. Mehrere Erklärfilme fassen alles Wissenswerte kurz, verständlich und zeitgemäß zusammen. Und wer schon immer wissen wollte, mit wie viel die Mitgliedschaft tatsächlich monatlich zu Buche schlägt, findet anhand eines Rechenbeispiels schnell heraus: meist mit weniger, als gedacht. Ebenso interessant ist die Verwendung der Gelder: Von den exemplarischen 10 Euro monatlich kommen 70 bis 80 Prozent direkt der eigenen Gemeinde zugute – und werden zu einem großen Teil für Kindertagesstätten, Jugendarbeit oder Seniorenangebote eingesetzt.

Starke Argumente für die Mitgliedschaft in der Kirche liefern zusätzlich spannende Porträts von Menschen, die sich in ihrer Gemeinde mit viel Herzblut für andere engagieren – oder von diesem Engagement profitieren: Pfarrer*innen, Kirchenmusiker, Altenpflegerin, Obdachloser, Flutopfer, Geflüchteter.

evangelischfuerdich.de ist ein Projekt der evangelischen Kirchenkreise Düsseldorf und Jülich und eine Initiative der dortigen Superintendenten.

Kirsten Paul-Hilgers, Trinitatiskirchengemeinde

Am 25.1.2024 hat die EKD die sog. ForuM-Studie zum sexuellen Missbrauch in der Evangelischen Kirche veröffentlicht. Wir möchten gerne in diesem Brief einige Informationen zu der Studie weitergeben, aber als Erstes möchten wir unser Erschrecken über das, was in der evangelischen Kirche passiert ist und vermutlich immer noch passiert, ausdrücken. Es ist schlimm, dass sexueller Missbrauch überhaupt passiert. Das Leid der Opfer berührt mich sehr, umso schlimmer, dass Missbrauch auch in der evangelischen Kirche passiert, weil es ein Verrat an der Botschaft Gottes ist und Opfer hier noch weniger damit rechnen können, dass ihnen so etwas angetan wird. Es ist schlimm, dass der Eindruck entsteht, dass die EKD und die Landeskirchen nicht alles getan haben könnten, um zur Aufklärung beizutragen. Das ist schwer zu ertragen und manchmal kaum auszuhalten.

Stefanie Graner

nach oben

Gottesdienstliches Wort des Präses der EKIR Dr. Thorsten Latzel zur ForuM-Studie

Liebe Geschwister,

am Donnerstag, 25. Jan., wurden die Ergebnisse der ForuM-Studie veröffentlicht. Sie bietet eine eingehende Analyse zu sexualisierter Gewalt in unserer Kirche und Diakonie, zu den Strukturen und Bedingungen, die sie begünstigen. Das Leid der Betroffenen, die Anzahl der Fälle und das institutionelle Versagen sind erschütternd. Wie viele andere fühle ich Entsetzen, Ärger und tiefe Scham angesichts dessen, was Menschen in unseren Gemeinden und Einrichtungen erleiden mussten. Als Betroffene Hilfe und Aufklärung suchten, stießen sie in unserer Kirche zu lange und zu oft auf taube Ohren – und sie erfahren dies noch immer: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Als evangelische Kirche sind wir unserem eigenen Anspruch im Umgang mit Betroffenen nicht gerecht geworden. Sexualisierte Gewalt gehört zur Schuld unserer evangelischen Kirche. Es braucht ein Hören auf die Betroffenen und darauf, was wir aus der Studie lernen können. Aufarbeitung ist die Voraussetzung, um sexualisierter Gewalt wirksam vorzubeugen. Betroffene haben ein Anrecht darauf. Und sie ist ein dauerhafter Prozess, den wir weiter verfolgen – ohne jedes Ansehen von Person und Institution. Die Landessynode hat in ihrer Tagung vor anderthalb Wochen ihren klaren Willen bekundet, sexualisierter Gewalt in unserer Kirche klar und konsequent zu begegnen. Als Präses bitte ich Sie daher: Sprechen Sie das Thema offen an. Hören Sie Betroffenen zu. Helfen Sie aufzuklären und vorzubeugen. Zugleich möchte ich Sie bitten, gemeinsam in Stille und Gebet das Leid der Betroffenen vor Gott zu bringen.

Gott,

Du siehst das Leid und Unrecht, das Menschen erleiden mussten:

in unseren Gemeinden, in unseren Einrichtungen, in unserer Kirche.

Du weißt auch, wie oft ihnen nicht zugehört oder geglaubt wurde.

Wir bitten dich für alle, die sexualisierte Gewalt erleiden mussten:

Lindere die tiefen Verletzungen ihrer Seele.

Lass sie offene Ohren und Hilfe finden.

Stell ihnen Menschen an die Seite, die sie begleiten und stärken.

Und lass uns selbst solche Menschen für andere sein.

Wir bitten dich für unsere Kirche und unsere Gemeinden:

Mach ein Ende mit allem Wegsehen und nicht Wahrhaben wollen.

Schenk uns den Mut, aufzuklären, nachzufragen, vorzubeugen.

Nur die Wahrheit wird uns freimachen.

Gott, hilf uns einzukehren, um umzukehren.

Vergib uns, wo wir Betroffenen nicht gerecht geworden sind

und lass uns aufhören zu versuchen, uns selbst in ein besseres Licht zu rücken.

Schenk uns deinen Geist der Wahrheit

und mach uns frei von den falschen Idealbildern von uns selbst.

Das bitten wir dich durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Bruder und Herrn. Amen.

nach oben

Was ist die ForuM-Studie?

Die ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche, deren Ergebnisse jetzt vorgestellt wurden, ist die erste bundesweite Studie dieser Art. Sie wurde vom Forschungsverbund „ForuM – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“ erstellt. Der Verbund ist ein Zusammenschluss unabhängiger Forscher*innen aus verschiedenen Fachgebieten.

Das Forschungsprojekt besteht aus fünf Teilprojekten, die durch eine Meta-Studie verbunden sind. Ziel war, eine empirische Grundlage für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in den 20 evangelischen Landeskirchen, der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie zu legen. Das Hauptaugenmerk lag auf der Frage, welche spezifisch evangelischen Strukturen und systemischen Bedingungen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch begünstigen. Die Wissenschaftler*innen selbst haben ihre Ziele in Form der folgenden Forschungsfragen definiert:

Welche systemischen und organisationalen Faktoren ermöglichen oder verhindern (sexualisierte) Gewalt? Welche Spezifika lassen sich für den evangelischen Kontext identifizieren?

Welchen Gefährdungs- und Tatkonstellationen waren Betroffene ausgeliefert? Wie wurde mit Hinweisen und Meldungen umgegangen? Welche Merkmale der Beschuldigten lassen sich identifizieren?

Welche Kennzahlen zum Ausmaß der Häufigkeit von Übergriffen und erlebter sexualisierter Gewalt lassen sich ermitteln?

Welche Ableitungen für weitere Aufarbeitung, Prävention und Schutzkonzepte folgen daraus?

Betroffene sexualisierter Gewalt sind teils auch selbst als Co-Forschende beteiligt bzw. wurden zu ihren Erfahrungen interviewt. Die Forscher*innen sprachen bei der Vorstellung der Ergebnisse von weit mehr als 100 Betroffenen, „von denen viele noch nicht in Kontakt mit der evangelischen Kirche standen“. Konkret hat die ForuM-Studie folgende Teile:

Das Teilprojekt A untersucht aus einer historischen Perspektive den kirchlichen und öffentlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche.

Das Teilprojekt B untersucht die bisherige Praxis der Aufarbeitung.

Das Teilprojekt C erforscht die Erfahrungen und Sichtweisen von Menschen, die sexualisierte Gewalt in evangelischen Kontexten erlitten haben.

Das Teilprojekt D erforscht die Perspektive Betroffener auf Strukturen der evangelischen Kirche und deren Nutzung durch Täter*innen.

Das quantitative Teilprojekt E ermittelt Kennzahlen zur Häufigkeit und beschäftigt sich mit der Aktenführung.

Anders als in der katholischen MHG-Studie, in der nur die verfasste Kirche und Geistliche als Täter im Blick waren, sind bei der evangelischen ForuM-Studie auch kirchliche Beschäftigte mit anderen Berufen in die Untersuchung eingeschlossen, ebenso wie die Diakonie mit ihren zahlreichen Einrichtungen. Die EKD hat die Studie mit 3,6 Millionen Euro gefördert.

nach oben

„Kein Täter werden“

Hilfe für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen

Das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ bietet deutschlandweit ein kostenloses und durch die Schweigepflicht geschütztes Behandlungsangebot für Männer und Frauen, Erwachsene und Jugendliche, die therapeutische Hilfe suchen, weil sie sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen.

Unterscheidung zwischen Pädophilie/Hebephilie und sexuellem Kindesmissbrauch

Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen, begehen nicht zwangsläufig sexuelle Übergriffe oder nutzen Abbildungen sexuellen Kindesmissbrauchs (sog. Kinderpornografie). Daher müssen die Begriffe Pädophilie/Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch unterschieden werden.

Während die strafrechtliche Bezeichnung ‚Sexueller Missbrauch von Kindern‘ vorrangig sexuelle Handlungen vor, an und mit Kindern beschreibt, wird unter Pädophilie/Hebephilie eine sexuelle Ansprechbarkeit auf den kindlichen beziehungsweise jugendlichen Körper verstanden. Nicht jeder Mensch mit einer Pädophilie oder Hebephilie begeht sexuellen Kindesmissbrauch und nicht jeder Sexualstraftäter ist pädophil oder hebephil. …

Die Häufigkeit der Pädophilie bzw. pädophilen Störung in der Allgemeinbevölkerung ist unbekannt. …

Eine Pädophilie wird fast ausschließlich bei Männern diagnostiziert, betroffene Frauen zeigen sich wenig…

Über die Häufigkeit einer pädophilen Präferenz bei Frauen gibt es daher derzeit keine gesicherten Erkenntnisse.

Vorhandene Maßnahmen zur Vorbeugung von sexuellen Übergriffen

Die Mehrzahl der Maßnahmen zur Vorbeugung sexueller Übergriffe auf Kinder bestehen aus pädagogischen Kampagnen und Angeboten für potenzielle Opfer (Kinder), Erzieher und Eltern.

Leidensdruck und Hilfebedarf bei Menschen mit sexueller Präferenz für Kinder/Jugendliche

Sexuelles Verlangen nach Kindern und/oder Jugendlichen kann einem sexuellen Missbrauch vorausgehen. Darüber ist aus der Forschung und aus der klinischen Arbeit bekannt, dass viele Menschen, die sich sexuell zu Kindern oder Jugendlichen hingezogen fühlen, unter ihrer sexuellen Präferenz und deren gesellschaftlicher Stigmatisierung leiden und sich deshalb Hilfe wünschen.

Ziel und Notwendigkeit therapeutischer Präventionsmaßnahmen

Ziel muss es deshalb sein, therapeutische Präventionsmaßnahmen zu etablieren, die im Dunkelfeld greifen, betroffenen Menschen beim Umgang mit ihrer sexuellen Ausrichtung helfen und darüber hinaus wirksam werden, bevor es zu sexuellen Übergriffen und/oder der Nutzung von Missbrauchsabbildungen im Internet (sog. Kinderpornografie) kommt.

Angebot des Präventionsnetzwerkes

Genau hier setzt das Angebot des Präventionsnetzwerkes an und bietet Menschen, die eine sexuelle Erregbarkeit durch Kinder oder Jugendliche verspüren und/oder Missbrauchsabbildungen konsumieren und aus diesem Grund therapeutische Hilfe suchen, eine kostenlose Behandlung unter Schweigepflicht an.

www.kein-taeter-werden.de, mit freundlicher Erlaubnis von Maximilian von Heyden, Charité Berlin

Stefanie Graner

nach oben